Zu Gast in Cliffords Höhle

Wilderness ist der Ort mit einem der schönsten Strände in Südafrika. Hier liegt einem der Indische Ozean zu Füßen, zumal wenn man in einem Guesthouse direkt am Strand wohnt. Seit Jahren kommen wir zu Leane und Deon in die Beach Villa und treffen hier auch immer mal wieder Freunde aus Oudtshoorn oder Port Elizabeth, die uns besuchen kommen. So auch in diesem Jahr. Zoë and Huw kamen an einem der sonnigen Tage auf eine Flasche Wein, einen Lunch und einen Strand-Spaziergang vorbei. Oudtshoorn ist ungefähr eine Stunde nördlich von Wilderness. Im Guesthouse von den beiden haben wir einige Jahre lang Station gemacht. Mittlerweile haben sie das 88 Baron van Reede verkauft und widmen sich jetzt anderen Dingen. Unter anderem Besuchen in Wilderness.

Wilderness ist wirklich traumhaft schön, Standspaziergänge können Stunden dauern, wenn man will. Und man trifft nur selten andere Menschen, selbst am Wochenende. Wir nutzen den Aufenthalt hier tatsächlich als Strandurlaub verbunden mit Nichtstun, gutem Essen und Entspannen. Ansonsten bietet der Ort natürlich einiges an Freizeitaktivitäten, von denen ihr hier nachlesen könnt.

Nun kamen also Zoë und Huw zu uns und wir alle wollten einen Spaziergang machen. Und wir hatten auch schon eine Idee, wohin wir die beiden entführen würde, in der Hoffnung, dass sie das Ziel noch nicht kannten. Kaaimans Grotto war uns von früheren Reisen bekannt, allerdings waren wir schon längere Zeit nicht mehr dort. Und wie sich herausstellte, kannten die beiden dieses spannende Plätzchen noch nicht. Es verwundert nicht, denn noch ist der Ort ein kleiner Geheimtipp, trotzdem schon zahlreiche Medien darüber berichtet haben.

Mit festem Schuhwerk im Rucksack und gut mit Sonnencreme eingeschmiert machten wir uns über den Strand Richtung Westen auf und landeten am Ortseingang von Wilderness auf einem Parkplatz in der Nähe der Bahnstation. Für den weiteren Weg kamen nun die Wanderschuhe zum Einsatz, denn wir mussten weiter gen Westen, und zwar auf Bahngleisen entlang. Mit einem leichten Schmunzeln wiesen wir die beiden darauf hin möglichst still zu sein, damit man den ankommenden Zug höre. Aber schon bei den ersten Metern auf dem Gleis war klar, dass hier kein Zug mehr kommen würde. Die Büsche an den Schienen hatten die Gleise längst erobert, die Natur hat sich ihren Lebensraum ziemlich gut zurück erobert. Tatsächlich verlief in früheren Zeiten hier eine viel genutzte Bahnverbindung zwischen den Städten George westlich und Knysna östlich von Wilderness. Die Strecke wurde allerdings aufgrund eines Erdrutsches im Jahr 2006 unbefahrbar, und auf deren stählernen Überbleibseln wanderten wir nun.

Wir marschierten also auf den Schienen Richtung Westen und liefen nach einigen hundert Metern direkt am ersten Verbotsschild vorbei, „Einfahrt verboten“ in Kombination mit dem Verbotsschild für Fußgänger. Bei unserem ersten Besuch vor 10 Jahren wären wir an dieser Stelle beinahe umgekehrt. Da wir nun aber wussten, was uns erwartet, ignorierten wir die Warnungen und gingen selbstbewusst über ein kleines, gut erhaltenes Viadukt weiter. Doch dann war plötzlich Schluss mit lustig, denn die Schienen lagen vor uns vergraben unter einem riesigen, mit Pflanzen bewachsenen Berg aus Sand, Stein und Geröll. Als 2006 nämlich langanhaltender Regen den Berg ins Rutschen brachte, landete ein großer Teil davon hier auf den Gleisen. Die Bahnstrecke ist seitdem blockiert und wurde trotz einiger Bemühungen nicht wieder reaktiviert. Und wir mussten nun sehr nahe am Abgrund zum unter uns tosenden Atlantik seitlich den abgeschmierten Berg entlangklettern, um irgendwann wieder auf die alten Bahngleise zu stoßen. Kurz hinter dem abgerutschten Berg öffnete sich uns dann ein großer, dunkler Schlund. So jedenfalls wirkt der Eingang zu einen Eisenbahntunnel, der sich vor uns auftat. Und irgendwie beschleicht einen jedes Mal das Gefühl, dass in jedem Moment eine schwere Dampflokomotive mit lautem Getöse begleitet von ganz viel weißem Rauch aus dem Tunnel herausschießen könnte. Früher war das bestimmt so. Heute gruselt es einem beim Anblick an den dunklen Zugang, an dessen Seite ein merkwürdiges Graffiti prangert. Denn der Tunnel macht in sich eine leichte Kurve, so dass sein Ende nicht zu sehen ist. Erst, wenn man sich einige Meter in den Tunnel vorgearbeitet hat, sieht man am Ende das Tageslicht hell strahlen. Die Schritte Richtung Tunnelausgang werden wieder mutiger und dann steht man plötzlich in einer anderen Welt. Wir hatten Kaaimans Grotto erreicht.

Von einer Holzterrasse aus, die direkt am Abhang über dem Wasser verläuft, eröffnete sich uns ein Blick über die gesamte Bucht, zu der auch die Kaaimans Bridge gehört, die in zweihundert Metern von hier entfernt über den Kaaimans River gespannt ist. Auf der Terrasse erwartete uns ein Mann mit vom Wetter gegerbten Gesicht, mit gestrickter Mütze auf dem Kopf, unter der längere, schon ergraute Haaren hervorlugten, mit brauner langer Hose und weit aufgeknöpftem Hemd. Es war offensichtlich Waschtag, und einiges an Wäsche hing schon an der Leine auf der Terrasse. Wie sich später herausstellte, gehörten einige der Wäschestücke auch einer der Mitbewohnerinnen. Er begrüßte uns sehr freundlich und hieß uns willkommen in seiner Community der Kaaimans Grotto. Nach einem kleinen Plausch bat er uns, einen Blick in die Wohnhöhle zu werfen und einen Rundgang zu wagen. Denn das zu Hause von ihm und seinen Mitbewohnern steht Besuchern jederzeit offen, natürlich gegen einen kleinen Obolus und erst, nachdem jemand im Inneren zig Kerzen angezündet hat. Schließlich wolle man ja was sehen, meinte er.

Aber wie kommt man in heutiger Zeit auf die Idee, in einer Höhle fernab der Zivilisation wohnen zu wollen? Das scheint ganz einfach zu sein. Denn Clifford, dem Besitzer dieser Höhle, schien Gott den Weg hierher gewiesen zu haben, so jedenfalls schildert er dies bei mancher Gelegenheit. Wir sollten Clifford in der Höhle mit seiner Geschichte noch treffen. Clifford fühlte sich berufen, nach einer eigenen Unterkunft zu suchen, nur er wusste nicht wo. Und der verließ sich da auf eine Eingebung von höhere Stelle, die ihm seinen Weg schon weisen würde. Nach viele Jahren in Kapstadt und dem Bibelstudium war er dem Stadtleben überdrüssig, machte sich ohne weltlichen Besitz auf den Weg und landete schließlich in Wilderness in der Kaaimans Grotto. Diese beheimatete vor dem Erdrutsch ein sehr bekanntes Ausflugslokal, das man nur über die Haltestelle des Dampflok-Zuges erreichen konnte. Seit dem die Strecke stillgelegt wurde und das Restaurant aufgegeben werden musste, wartete die Höhle quasi auf Clifford, der tatsächlich auch offiziell von der Bahngesellschaft und vom Eigentümer des Höhlenrestaurants erlaubt, hier sein Lager aufschlagen und auf die Grotte aufpassen durfte. Jedenfalls bis die Bahnstrecke wieder aktiviert würde. Mittlerweile scheint das in weite Ferne gerückt zu sein, so dass die Höhle vermutlich auf Dauer durch Clifford genutzt wird.

Aber er ist nicht der einzige Bewohner hier. Cliffords Lebensmotto besteht darin, obdachlosen Menschen oder anderen Bedürftigen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Und deshalb gibt es insgesamt 14 Schlafplätze in der Höhle, die bei Bedarf auch an Touristen vermietet werden. Es gibt zwar keinen Strom in der Höhle, aber Wasser und Abwasser funktionieren. Clifford und seine Mitbewohner haben über die Jahre die Höhle mit allerlei Fundstücken, selbst hergestellter Deko und vor allem Muschelketten geschmückt und einzelne Bereiche nach bestimmten Mottos hergerichtet. Selten findet man eine mit so viel Hingabe gestaltete Unterkunft mit recht puristischer Ausstattung. Die Fotos aus der Höhle sprechen vermutlich für sich …

Nach dem Rundgang schlenderten wir auf der Terrasse vor der Höhle weiter in Richtung Westen, links der Ozean, rechts der grüne Hügel, an dem die Autobahn N2 sich entlang schlängelt. Bis wir dann endgültig stoppen mussten, nämlich vor der Eisenbahnbrücke über dem Kaimaans River, der einige zig Meter unter uns dramatisch das Wasser aus den Bergen gen Meer befördert. Die Jungs von der Höhle meinten, man könne über die Brücke weiter zur nächsten Bucht, nämlich zur Victoria Bay laufen, wenn man mutig ist. Aber wer ist das schon! Denn die 210 Meter lange Brücke, die von 1924 bis 1928 gebaut wurde, ist wie die frühere Bahnstrecke schon lange nicht mehr in Betrieb. Und so sieht sie auch aus. Die 15 Pfeiler stehen stabil im Boden und bei Flut auch umspült vom Ozean; die hält noch hundert Jahre. Aber die Gleisanlage obenauf ist weniger vertrauenserweckend. Die Stahlgleise werden wie üblich von Schwellen getragen, allerdings fehlt weitgehend der übliche Schotter zwischen den Gleisen, so dass der Blick nach unten direkt ins Meer fällt. Die Vorstellung, dass nicht nur der Blick sondern man selbst auch gleich hinterher fällt, ist alles andere als ermutigend, so dass wir von einer Überquerung der Brücke ganz schnell Abstand genommen haben. Interessant ist auch, dass Teile der Wasserversorgung für den Ort Wilderness durch Rohre sichergestellt wird, die über die Brücke und an der Höhle vorbeilaufen.

Die früher 68 Kilometer lange Bahnstrecke verband die Städte George und Knysna und war die letzte Strecke in Südafrika, auf der eine Dampflok fuhr, die Outeniqua Choo-Tjoe. Die Gemeinde Wilderness ist sehr bemüht, den Schutz der Mündung und die gesamte Region des Kaimaan Rivers sicherzustellen. Ende 2021 gelang es, die Eisenbahnbrücke tatsächlich auch formell als nationales Kulturgut unter Schutz zu stellen. Eine Restaurierung der Brücke oder gar die Inbetriebnahme der Eisenbahnlinie scheitert vermutlich aber an den fehlenden Finanzen.

Zurück an der Kaimaans Grotto verabschiedeten wir uns von den Bewohnern. Kaum vorstellbar, dass bis 2006 hier das besagte Restaurant florierte, das einzige Höhlen-Restaurant Südafrikas. Man kann sich gut vorstellen, wie die Gäste hier auf der Terrasse ihr Essen und den herrlichen Blick über den Indischen Ozean genossen hatten. Mit einer Anzahl bis zu 270 Plätzen fanden hier auch große Veranstaltungen, Firmenfeiern oder Hochzeiten statt, exklusiv nur erreichbar über die Anfahrt per Zug. Mit seinen heutigen 14 Wohnplätzen ist die Höhle natürlich nicht mit dem früheren Gourmettempel vergleichbar, aber sie ist mindestens genau so exklusiv und individuell wie ihr Vorgänger.


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